Welche Folgen hat Vaterlosigkeit?

In Deutschland wächst in etwa jedes 10. Kind (ca. 1.35 Millionen Kinder) ohne Vater auf, in Österreich gibt es in 13% aller Haushalte mit Kindern unter 15 Jahren keinen Vater. Die Öffentlichkeit scheint das nicht wahrzunehmen, geschweige denn als Problem. Im Gegenteil: die vaterlose Familie wird langsam schleichend zum dargestellten Normalfall, und kaum jemand bemerkt es. Väter sind die Verbindung der heranwachsenden Kinder zur Gesellschaft, zum Gewissen, zum psychoanalytischen Über-Ich. Wenn diese Verbindung fehlt, dann fehlt den Kindern ihre Standhaftigkeit in der Gesellschaft, was diese als ganzes schwächt und somit verweichlicht. Father & Son

„Anthropologisch gilt es heute als gesichert, dass es ein großes Bedürfnis von Kindern gibt, sich in der Dreier-Konstellation mit Mutter und Vater zu entwickeln.“ – Prof. Dr. Horst Petri (GEO Wissen Nr. 46 – 11/10 – Väter)

Mach mal folgenden Versuch: schalt den Fernseher ein und zähl ein paar Tage lang mit in wie vielen Familien ein Vater existiert, erwähnt oder gezeigt wird, und in wie vielen Darstellungen der Vater ein Herbert-trink-das-Waschlappen ist. Egal ob Werbung, Sitcom, Reality-TV, Soaps oder sonst was. Mich würde eure Wahrnehmung dazu interessieren, vielleicht gleich hier als Kommentar.

Während die Vaterlosigkeit als Randphänomen entsorgt wird, feiert die Gesellschaft unbekümmert die Erfolge von individueller Freiheit und Selbstverwirklichung: endlich darf jede Frau und jeder Mann die eigenen Ziele verfolgen, unbehindert von den so verhassten familiären Rollenbildern unserer Vergangenheit. Endlich finden alle das Lebensglück darin, sich als Zahnrädchen in der Wirtschaftsmaschinerie aufreiben zu lassen: finanzielle Unabhängigkeit, eine glücklich machende Tätigkeit und Prestige kann man jetzt auch dann haben, wenn man Kinder in die Welt gesetzt hat.

Aber allmählich zeigen sich die Folgen für die kommenden Generationen. Die Konsequenzen dieser Haltung für die Kinder wurden entweder ausgeblendet oder durch ideologische Argumente gerechtfertigt: Mutter werden kann man dank Samenbank ganz ohne Vater (was das für das Kind bedeutet interessiert außer den Kindern niemanden), in Kinderhorten lernt man soziale Umgangsformen von geschulten Pädagogen anstatt von den eigenen Laien… äh – Eltern, und in modernen patchwork-Familien haben Kinder gleich mehrere leiblichen Väter, dafür aber keinen einzigen der sich um sie kümmert. Was uns zu der (übrigens steigenden) Zahl der Kinder ohne Väter bringt.

„Vater und Mutter sind seit den Anfängen der Geschichte ein Archetyp, ein in den tiefsten Seelenschichten verankertes Prinzip.“ – Prof. Dr. Horst Petri (Die Zeit, 23.12.2002)

Aber die Zeiten ändern sich, und man muss mit der Zeit gehen. Die Gesellschaft hat sich weiter entwickelt, und in unserer modernen Zivilisation sind die tradierten Familienbilder überholt. Oder? Mutter und Vater haben für die Jugend nicht mehr die selbe Bedeutung wie früher, und heute auch andere Rollen wahrzunehmen. Das kann man nicht mehr vergleichen, die Bedeutung der Familie, von Mutter und Vater ist nicht mehr so groß wie früher. Richtig?

Falsch.

„Fachleute haben versucht eine Reihenfolge der schwersten seelischen Verletzungen für Kinder zu erstellen. Wissen sie, welches Trauma für ein Kind an erster Stelle steht? Wenn man die Veröffentlichungen anschaut, könnte man meinen, es wäre der sexuelle Missbrauch. Aber an erster Stelle steht der Tod eines Elternteils, an zweiter Stelle der Verlust eines Elternteils durch Trennung, an dritter Stelle der Verlust eines Elternteils durch Scheidung und an vierter Stelle kommt dann der sexuelle Missbrauch.“ – Prof. Dr. Horst Petri, Arzt für Neurologie und Psychiatrie, Kinder- und Jugendpsychiater

Die Bedeutung des Verlustes der Eltern für die Kinder wird von der Berichterstattung über Missbrauch übertönt, obwohl der Verlust das größere Trauma ist. Ein Missbrauchsfall ist medial leichter auszuschlachten, hat klare Täter- und Opferrollen. Eine Trennung ist da komplizierter, und auch politisch ein heißes Eisen. Ich reite hier übrigens so auf dem Petri rum weil es schwierig genug ist überhaupt eine zitierbare Quelle zu diesem Thema zu finden. Die (deutschsprachige) Öffentlichkeit scheint das  nicht zu interessieren, vermutlich gibt es deshalb auch kaum frei auffindbare Forschungsergebnisse dazu. Wobei ich zugeben muss nicht intensiv gesucht zu haben (Hinweise in Kommentaren sind willkommen).

Aber zum Glück gibt es da dieses komische Volk jenseits des großen Teiches, das die Fehler die wir jetzt so begeistert kopieren schon länger gemacht hat und deshalb jetzt schon weiss, was da auf uns zukommt. Der Journalist und Autor Matthias Matussek schreibt in seinem Buch „Die Vaterlose Gesellschaft“ (einen längeren Auszug aus der zugegebenermaßen reißerisch geschriebenen Polemik findet man beim Spiegel):

Doch anders als bei uns hat man [in den USA] die vaterlose Gesellschaft inzwischen als gesellschaftliche Katastrophe erkannt. In jeder zweiten Fernsehansprache appelliert der Präsident an Familienwerte, und die schwarzen Reverends in den Ghettos richten sich an die Väter, Verantwortung zu übernehmen, und an die Mütter, den Vätern die Chance dazu zu lassen. Amerikanische Soziologen haben längst begonnen, die Verheerungen einer vaterlosen Gesellschaft zu untersuchen. Aus vaterlosen Familien stammen in den USA

  • 63 Prozent der jugendlichen Selbstmörder
  • 71 Prozent der schwangeren Teenager
  • 90 Prozent aller Ausreißer und obdachlosen Kinder
  • 70 Prozent der Jugendlichen in staatlichen Einrichtungen
  • 85 Prozent aller jugendlichen Häftlinge
  • 71 Prozent aller Schulabbrecher
  • 75 Prozent aller Heranwachsenden im Drogenentzugszentrum.

Man muss nicht viel von Statistik wissen um zu vermuten, dass hier ein kausaler Zusammenhang vorliegen könnte. Aber man braucht ein bisschen Psychologie um ihn zu verstehen.

Die Funktion von Vätern in der Entwicklung der Kinder

Was macht einen Vater eigentlich aus? Was unterscheidet ihn in der Wahrnehmung der Kinder denn von der Mutter? Diese Wahrnehmung beginnt schon früher als manche glauben würden, nämlich schon im Mutterleib. Dort kennt das Kind die Wärme und Geborgenheit der Mutter, ihre Atmung wenn sie schläft, ihre Stimme wenn sie spricht. Aber da ist noch etwas anderes, eine leisere, tiefere Stimme, die immer wieder mal von draußen rein kommt: die des Vaters. Sie klingt anders. Nach der Geburt, wenn der Säugling nichts anderes kennt als die momentan unmittelbar auf ihn einwirkende Umgebung, wird dieser Unterschied noch deutlicher: wenn das Baby auf der Brust des Vaters liegt und er spricht, merkt es, dass die Stimme nicht nur anders klingt sondern sich auch anders anfühlt: die tiefe Stimme vibriert, das tut die der Mutter nicht so stark. Der Vater riecht auch anders, und er bewegt sich anders – nämlich ruppiger, kraftvoller, nicht so zärtlich wie die Mutter. Und das Gesicht des Vaters sieht anders aus, seine Bartstoppeln fühlen sich anders an.

Später kommen weitere Unterschiede hinzu. Es sind die Väter, die Kinder hoch in die Luft werfen und wieder auffangen, bis sie vor Lachen Tränen in den Augen haben. Es sind die Väter, die Kindern mehr Selbstständigkeit zutrauen und sie dadurch im Umgang mit Gefahren schulen, ihnen z.B. das Fahrradfahren beibringen, oder mit ihnen im Bach baden gehen. Nichts davon ist eine Mutter unfähig zu tun, aber sie tut es eben anders: vorsichtiger, behutsamer, sanfter.

Die Entwicklungspsychologie spricht von drei für die Vater-Kind-Beziehung entscheidenden Zeiträume:

Die Tiangulierungsphase, zwischen dem ersten und dritten Lebensjahr, sie lässt sich auch als Mutter-Vater-Kind Dreieck beschreiben. Die wichtigste Funktion des Vaters in dieser Phase besteht darin, dem Kind den notwendigen Halt zu bieten, wenn es durch die Ablösung von der Mutter in eine Krise gerät. Die Anlehnung an den Vater schützt das Kind vor schweren Trennungs- und Verlassenheitsängsten, die sich in die Seele einbrennen und bis ins Erwachsenenalter wirken können. Entscheidend kommt hinzu, dass das Kind in der Dreieckskonstellation zwei voneinander getrennte Liebesobjekte zur Verfügung hat, die Mutter und den Vater. Sie bieten zwei verschiedene Identifizierungsmöglichkeiten an, eine weibliche und eine männliche. Dadurch wird der Reifungsprozess des Kindes entscheiden vorangetrieben, denn erst durch die Integration beider Anteile kann es ein ganzheitliches weiblich-männliches Selbstbild aufbauen.

Kurz darauf kommt die erste ödipale Phase, sie umfasst die Zeit etwa vom Beginn des 4. bis zum Ende des 6. Lebensjahres. Während der Ablösung von der Mutter erfährt sich das Kind zum ersten Mal als eigenständiges Wesen, das mit einer nicht immer freundlichen und teilweise gefährlichen Welt konfrontiert ist. Das Selbstvertrauen der Kinder entscheidet jetzt darüber, wie mit späteren Lebensaufgaben umgegangen werden kann. Die Rolle, die der Vater dabei spielt, kann nicht überschätzt werden: anders als die Mutter, die dem Kind hauptsächlich durch Emotionalität und sprachliche Kommunikation den notwendigen Rückhalt gibt, vermittelt der Vater ihm die Umwelt durch aktive Konfrontation (z.B. durch in die Luft werfen, Fahrradfahren). Diese elterlichen Beziehungsangebote sind psychologisch in idealer Weise komplementär. Durch die Vorbildfunktion wird der Vater zu einer moralischen Instanz und als solche im Gewissen, dem über-Ich der Psychoanalyse, verarbeitet.

Die zweite ödipale Phase, die Jahre der Pubertät zwischen dem 12. und dem 16. Lebensjahr. Sie ist der Übergang von Kindheit zum Erwachsensein, eine Zeit der Unruhe, Orientierungslosigkeit und des revolutionären Aufbruchs für den jungen Menschen. In dieser Phase muss der Vater die entscheidenden Weichen für die Kinder stellen, indem er ihnen als Vorbild dient in der Art, wie er sie in die Welt entlässt. Jugendliche haben eine ausgeprägte Tendenz sich jetzt noch einmal verstärkt mit dem Vater zu identifizieren. Sein Rat und Erfahrung sind gefragt – wenn auch nicht immer gewünscht. Dabei spielt sein eigenes Identitätsgefühl eine wichtige Rolle: nur wenn er selbst fest im Leben steht, trotz aller Widrigkeiten Mut, Kraft und Hoffnung ausstrahlt, wird er den Kindern die nötige Zuversicht geben ihr Leben in eine offene Zukunft hinein zu entwerfen. Je früher das Kind auf den Vater verzichten muss, desto gefährdeter ist es in seiner gesamten weiteren Entwicklung.

„In der Praxis bin ich immer wieder überrascht mit welchem Ausmaß an Depression, Resignation und Verzweiflung gerade Jugendliche auf die Trennung der Eltern mit Vaterverlust reagieren, wobei soziales Versagen bis hin zu kriminellen Entgleisungen nicht ausgeschlossen sind. Der Vater bildet in der Sinn- und Orientierungskrise der Pubertät einen wichtigen Brückenkopf zur Außenwelt und bei seinem Verlust brechen diese Stützen plötzlich weg.“

Natürlich geschieht nicht jede Trennung freiwillig, und natürlich kommt es auch darauf an, wie die Familie mit der Trennung umgeht, welche Rolle der jetzt fehlende Elternteil beim anderen Elternteil und bei den Kindern hat. Wird er als übermenschliche Idealperson hochstilisiert? Oder verkörpert er die Niedertracht und das Böse? Ein richtiger Umgang mit der Trennung muss sich irgendwo dazwischen bewegen. Wichtig ist aber, dass es diesen Umgang überhaupt gibt. Leider fehlt er oft in einer Gesellschaft, in der es modern ist getrennt zu leben.

Dabei haben getrennt lebende Mütter auch kein leichtes Los. An ihnen bleibt die Hauptlast hängen, sie haben die ganze Arbeit und Verantwortung. Sie stellen die wichtigste Umwelt der Kinder dar, wenn der Vater entfällt. Dennoch: trotz dieser Belastung, die für Eltern in einer Trennung ja keineswegs überraschend kommt, wird vor Gerichten um das alleinige Sorgerecht gekämpft, um das Privileg, diese „Reproduktionsarbeit“ machen zu dürfen. Hier siegt nach wie vor die Menschlichkeit über die Ideologie: die eigenen Kinder sind der Sinn des Lebens, und nicht nur eine Belastung.

„Besonders die zur Ideologie geratene Auffassung, die Mutter könne allein den Ausfall des Vaters kompensieren entstammt einem illusionären Wunschdenken im Rahmen einer missverstandenen Emanzipation. In diesem Zusammenhang erscheint mir auch der Begriff der Alleinerziehenden Mutter ein Euphemismus: mit der Erziehung ist es nicht getan. Entscheidend für die psychische Entwicklung des Kindes sind seine Beziehungen, erst von ihrer Qualität hängt der Erfolg jeder Erziehung ab. Im Sinne einer ganzheitlichen Persönlichkeit benötigt das Kind dazu das komplementäre Bindungs- und Beziehungsgefüge zu Mutter und Vater. Es gibt daher keine Veranlassung, das Los der Mütter nach Ausscheiden des Vaters schön zu reden.“ – Prof. Dr. Horst Petri

Links

Hin und wieder finde ich anderswo interessante Texte zu diesem Thema, bei denen es schade wäre wenn sie untergehen – deshalb werde ich hier ab und zu ein paar Links darauf reinstellen. Diese Liste ist natürlich nicht vollständig. Hinweise in den Kommentaren sind jederzeit willkommen.

  • Getrennt leben, gemeinsam erziehen – warum der Vater so wichtig ist eine Mutter beschreibt eine Trennung, die ihre Familie nicht zerstörte, und trotzdem schwierig ist. Und was Väter aus ihrer Sicht anders machen als Mütter.
  • Do fathers matter? (in Englisch, hier ein übersetzter Absatz): Die wissenschafter fanden, dass die direkte Beschäftigung des Vaters mit seinen Kindern für diese eine Vielzahl an sozialen und psychologischen Vorteilen bringt. Kinder, deren Väter mit ihnen spielten, ihnen vorlasen, mit ihnen raus gingen und die bei der Erziehung mithalfen waren im frühen Schulalter weniger verhaltensauffällig, und zeigten als Erwachsene eine geringere Tendenz zur Kriminalität.
  • Die TAZ berichtet über eine Studie zu inhaftierten Eltern, und die Auswirkungen der dadurch verursachten Trennung für die Kinder:

    Die Experten fanden heraus, dass die lange Trennung von einem Elternteil vielen Kindern langfristig schadet: Sie leiden unter Verlustangst, weil eine der wichtigsten Bezugspersonen plötzlich aus ihrem Alltag verschwunden ist. Dieses Gefühl kann sich bei den Kindern so sehr einprägen, dass sie dauerhaft Schwierigkeiten haben, sich auf Beziehungen zu anderen Menschen einzulassen.

PS

Dieser Text war ursprünglich als Antwort auf einen Dialog auf Twitter gedacht, und war der eigentliche Auslöser für den Flussfänger. Es ist schon eine ganze Weile her, als ich eine in 140 Zeichen nicht abbildbare These auf Twitter vertreten habe. Den ursprünglichen Dialog kann man hier nachlesen: https://twitter.com/jetpack/status/393811280240582656https://twitter.com/jetpack/status/394141605055459328 „Nicht in Twitterkürze“ – eine Untertreibung. Dieser Text ist etwas länger.

Über Sir Mortimer

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17 Antworten zu Welche Folgen hat Vaterlosigkeit?

  1. Der Adler schreibt:

    Hallo Martin,

    vielen Dank für diesen Artikel. Sehr lesenswerte Analyse. Deinem Aufruf mit dem Fernseher und dem Zählen kann ich leider nicht folgen, da ich dazu einfach zu wenig TV schaue. Ich kann es mir, gerade bei RTL2 und Konsorten, aber bestens vorstellen.

    Die eigenen Erfahrungen und Geschichten aus dem Umfeld tragen ja auch dazu bei und bestätigen im groben deine Aussagen.

    Die „modernen Patchwork-Familien“, welche du kurz angesprochen hast, sind in meinen Augen ein riesen Problem. In den Medien und der Gesellschaft findet geradezu eine Verehrung oder Idealisierung dieses Modells statt. Jetzt bin ich selbst davon betroffen, man nannte es damals nur nicht so, und ich habe im Bekanntenkreis auch einige. Was dabei immer auffällt ist, dass es den Kindern schwer fällt, mit der neuen Situation, den neuen Familienmitgliedern klar zu kommen, Anschluss zu finden und sich geborgen zu fühlen. Umgekehrt haben auch die „neuen“ Elternteile ihre Probleme, das Kind wie ihr eigenes zu lieben und behandeln. Natürlich gibt es auch Fälle, in denen das super gelingt, nicht aber in meinem Umfeld. Das nur mal als Gedankengang dazu.

    Den zweiten Teil über die Funktion in der Entwicklung mit den drei Phasen fand ich als junger Vater besonders interessant. Das nehme ich so einfach mal dankend an.

    // Adler

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  2. Step II schreibt:

    Die Kultur der Alleinerziehenden, die Kultur der Vaterausgrenzung/-entbehrung ist für unsere heutige Zeit (und insbesondere für die Söhne) so selbstverständlich, so normal, dass wir deren destruktive Folgen in toto verdrängen (müssen).
    Der bereits zitierte Psychoanalytiker HORST PETRI konstatiert in seinem Buch „Das Drama der Vaterentbehrung“ ebenso genau wie einfühlsam:
    Ein Vaterverlust (durch Tod, künstliche Zeugung und so weiter) und eine Vaterentbehrung bedeuten immer ein Trauma. Die Folgen lassen sich massenhaft erkennen in der Traumaverarbeitung bei beiden Geschlechtern bezogen auf den Umgang mit dem Partner und den Kindern: psychische Ertaubung, Gefühlskälte, Abstumpfung, eingefrorene Trauer und Bindungsverlust.
    Eine kollektive Form der Abwehr (nämlich die Verkehrung des Verdrängten und Vermissten in eine Ideologie der Ausgrenzung) betrieb die Frauenbewegung, die die Vaterlosigkeit einfach als Ideal deklarierte und die Mutter als alleinseligmachende Erziehungsinstanz verklärte.

    Und bezüglich der unterschiedlichen Auswirkung der Vaterentbehrung auf das jeweilige Geschlecht heißt es:

    “Doch was passiert, wenn eine Frau ihr Kind allein großzieht?
    Diese Mütter, die freiwillig oder unfreiwillig auf die Unterstützung eines Mannes verzichten, müssen ständig aufs neue die Verletzungen, Trauer und Wut der Kinder ob der Vaterentbehrung aushalten und sich mit dem eigenen Scheitern, der eigenen Hilflosigkeit und Ohnmacht auseinandersetzen – was nicht selten in Ängste, Depressionen und Verzweiflung umschlägt.
    Es kann zu einer Gefühlsabwehr und Gleichgültigkeit gegenüber dem Kind kommen.
    Der Selbst- und Männerhass wird auf das Kind projiziert, auch wird es von den eigenen psychischen Problemen überflutet und als Bündnispartner missbraucht.
    Mädchen erfahren eine zu starke Mutterfixierung, die ihnen später eine heterosexuelle Beziehung erschweren wird, und Jungen werden als Partnerersatz missbraucht, was ab der Pubertät zu starken Hassgefühlen gegenüber der Mutter führt.
    Auch werden Jungen mit dem „bösen Männlichen“ identifiziert oder als Sündenböcke für das eigene Scheitern verantwortlich gemacht oder zum Lebensersatz gebraucht – als narzisstische Verlängerung des eigenen leeren Selbst.”

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  3. „Man muss nicht viel von Statistik wissen um zu vermuten, dass hier ein kausaler Zusammenhang vorliegen könnte.“

    Die Frage wäre eben, ob es nicht auf Faktoren beruht, die mit der Vaterlosigkeit zusammen hängen, aber nicht direkt auf die Abwesenheit des Vaters zurückzuführen sind.

    Mütter, die Kinder ohne einen Vater bekommen, werden vielleicht im Schnitt ärmer sein, vielleicht auch selbst risikobereiter, Männer, die ihre Kinder verlassen vielleicht auch eher solche, die ihrerseits Probleme haben. Es wäre da interessant eine Untersuchung innerhalb der Gruppe der Kinderlosen vorzunehmen und die Faktoren näher herauszuarbeiten

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    • minoritymagnet schreibt:

      Korrelationen weisen auf Kausalzusammenhänge hin. Die Frage ist aber, ob die Vaterlosigkeit wirklich ursächlich ist oder ein Begleitsymptom bei anderem „ultimate cause“.

      Mütter, die dazu neigen den Vater zu „entsorgen“ bzw. Väter auszusuchen, die sie „im Stich lassen“, könnten auch dazu neigen problematischere Kinder zu erziehen oder entsprechende genetische Prädispositionen (auch via des Vaters) weiterzugeben. Die Probleme der Kinder von alleinerziehen Müttern treten schließlich in sehr viel geringerem Maße bei Kindern von Witwen auf.

      http://www.jstor.org/discover/10.2307/1566757?uid=3737864&uid=2129&uid=2&uid=70&uid=4&sid=21103043949093

      Die traditionell hohe Beteiligung des Vaters an der Erziehung in Europa (und Ostasien) ist bei anderen menschlichen Populationen nicht unbedingt gegeben. In den stark polygynen Gesellschaften in Zentral- und Westafrika beteiligen sich die Väter wenig an der Erziehung (analog bei Afroamerikanern).

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      • genom schreibt:

        Ihre Theorie,auch die Gene der verlassenden (untreuen) oder desinteressierten (u.a. auch Samenspender) hätten Einfluss auf die Verhaltensweise der Kinder, scheint mir plausibel, wenn diejenigen der Witwen da weniger auffallen..Auch Mütter, die von vornherein keinen Miterzieher/Partner wollen, geben diese Disposition genetisch und als Vorbild weiter. Nur haben wir im Gegensatz zu früher heute Wahlfreiheit: weder Gesetz noch Religion noch öffentlilche Meinung verlangen, dass eiine Frau einen (Ehe-)Mann an ihrer Seite haben muss, wenn sie ein Kind will oder dass eine Ehe lebenslang halten muss und nur in besonderen Fällen geschieden werden darf. Wenn diese Sicherheit, enen „treusorgenden“ Gatten an der Seite zu haben, wegfällt, nimmt das der Ehe als Familienunternehmen ihren Sinn. Wenn ich schon nicht auf Treue und Mitverantwortung zählen kann, kann ich genausogut allein bleiben und erspare mir und eventuellen Kindern Verletzungen, Kummer und plötzliche materielle Not..

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  6. m schreibt:

    Ich bin weitgehend ohne Vater aufgewachsen und wünschte nun es wäre nicht so gewesen.
    Das hat nicht nur mit meiner Mutter zu tun, die in unserer Familie die einzige war, die Gewalt gegen uns anwendete. Häusliche Gewalt war bei uns weiblich. Mein Vater hat das nicht verhindert.

    Dennoch, ich denke, ich wäre nun gefestigter.

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  7. Graublau schreibt:

    Eine interessante Analyse. Die Modelle der Patchwork- und Alleinerzieher-Familie schneiden hier ganz entgegen dem Zeitgeist schlecht ab. „Ein richtiger Vater ist besser als kein richtiger Vater“ ist leicht nachzuvollziehen.

    Aber was ist mit Adoptionen von Kindern, die nach dem Babyalter geschehen – und damit eventuell nach den hier als kritisch geschilderten Phasen? Und was ist mit homosexuellen Paaren, die ein Kind adoptieren wollen?

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  8. monieka schreibt:

    Dein Artikel ist zwar schon zwei Wochen her, die Frage „wie werden Väter im Fernsehen dargestellt“ ist aber fast zeitlos 🙂

    Ich kucke amerikanische Krimiserien. Wenn Kinder bei den Hauptpersonen da sind, dann entweder in einer funktionierenden Beziehung oder sie sind bei der Mutter, doch die Liebe des Vaters (der dann eine Hauptperson der Serie ist) und seine Bemühen für sein Kind da zu sein, wird thematisiert. Einen weiblichen Cop gibt es, die ein Kind hat und massig Ärger mit dem Vater (auch Cop, aber als verdeckter Ermittler abgerutscht) – wenn ich mich recht erinnere, haben Kollegen sie darauf hingewiesen, so müsse zwischen ihrem Ärger mit dem Mann und dem Wunsch/dem Bedürfnis des Kindes nach einem Vater unterscheiden. Auch dieser Vater liebt sein Kind. Ach ja, und Director Vance seine Frau wurde ermordet und jetzt haben auch seine Kinder keine Mutter mehr.

    Nun sind Copserien im allgemeinen männerpositiv. Um Frauen aufzuwerten, werden eben auch starke Frauen dargestellt. Männer werden nicht als Väter schlecht dargestellt. Thematisiert wird eher bei beiden Geschlechtern das Verhältnis Beruf und Elternschaft – auch nur am Rande.

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  9. Max Kuckucksvater schreibt:

    In der NIVEA-Werbung wird nun auch der entsorgte Vater als Normalität beworben – perfide Message: Väter sind entbehrlich.
    Deswegen rufe ich zum BOYKOTT von NIVEA-Produkten auf. Kauft nicht von Unternehmen, die das Fehlen vom Vater glorifizieren.

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  12. peter schreibt:

    ich finde es gibt einige Methodische Kritikpunkte. Zu jeder Erörterung gehört es auch dazu die Gegenseite zu beleuchten. Ich finde es zu einfach zusagen es liegt an dem fehlen des Vaters wenn ein Jugendlicher die schule abbricht, bei diesem Vorgang spielen eine ganze Reihe von Faktoren eine Rolle.
    Alles in allem also bitte auch die Gegenargumente beleuchten

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